Bericht 1: Erlangen - Berlin 4.8.07 - 10.8.07; Kilometer: 0 - 640;

Nur noch wenige Kilometer und ich habe mein erstes Etappenziel in Deutschland erreicht: Berlin. Auf holprigem Kopfsteinpflaster radel ich durch die zahlreichen Vororte Berlins meinem ersten Ruhetag entgegen. Obwohl ich erst seit sechs Tagen unterwegs bin, habe ich schon die unterschiedlichsten Landschaften durchquert, die verschiedensten Reaktionen erlebt, eine Vielfalt an Dialekten gehört und die Gastfreundschaft der Menschen erfahren.

Noch vor 10 Tagen befand ich mich in Erlangen in einer ganz anderen Welt. Die Tage waren bestimmt von Wohnungsauflösung, medizinischen Vorkehrungen, Presseterminen und letzte organisatorische Vorbereitungen. Wenn ich gefragt wurde, ob ich mich auf die Reise freue, dann wurde ich immer nachdenklich. Ich sah welche Arbeit noch zu bewältigen war, hatte Angst, dass ich etwas Wichtiges vergessen würde und konnte mir noch in keinster Weise vorstellen, das nächste Jahr jeden Tag auf dem Fahrrad zu sitzen, um die Welt zu erkunden. Ich hatte und habe immer noch Respekt vor dem Projekt, sehnte aber den Moment herbei, an dem es nach zweijähriger Vorbereitungszeit endlich los geht. Zu meiner inneren Unruhe kamen die vielen Abschiede von Familie und Freunden hinzu, in dem Bewusstsein, sie ein Jahr lang nicht zu sehen.

Doch dann ging alles ganz schnell: Am Abend vorher wurden bis in die Nacht die Taschen gepackt, schnell noch ein letztes Bierchen mit Freunden im Steinbach-Bräu getrunken, eine kurze, unruhige Nacht und schon stand ich am Startpunkt meiner Reise, vor den Geschäften Avalanche und Freilauf in der Erlanger Fußgängerzone. Schnell waren wir umringt von interessierten Passanten, die Presse verlangte die letzten Interviews, ich hielt eine kurze Ansprache, die Bürgermeisterin und der Bürgermeister wünschten mir eine gute Reise und nach dem Segen meines Vaters ging es unter großem Applaus los.

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Ziel von „bike-together“ ist es, immer wieder Mitfahrer zu finden und gemeinsam Fahrrad zu fahren. Am ersten Tag waren es sogar 14 Radler, die mich auf den ersten Kilometern begleiteten. Als bunt gemischte Truppe, im Alter von vier bis 66 Jahren, hatten wir viel Spaß zusammen und genossen eine gemütliche Fahrradtour in die fränkische Schweiz mit dem Ziel Plankenfels. In einer Gegend mit der größten Brauereidichte der Welt (auf 600 Einwohner kommt eine Brauerei) boten sich einige Einkehrmöglichkeiten. Ein besonderes Highlight war die Kathi-Bräu in Heckenhof. Nicht nur die Qualität des sehr dunklen Bieres überzeugte, sondern auch der Bierpreis von 1,70 € für die Halbe.

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Nach einem gemütlichen Grillabend im Hostel „Factory41“ verabschiedeten sich am nächsten Tag die meisten Mitfahrer. Zusammen mit meiner Freundin Astrid ging es bei immer noch perfektem Sommerwetter die nächsten zwei Tage durch den Franken- und den Thüringerwald weiter bis nach Saalfeld. Hier verlies mich Astrid, die am nächsten Tag wieder arbeiten musste. Zum ersten Mal kam nun meine Spezialkonstruktion, das Zusammenschieben des Liegetandems um ca. 40 cm, zum Einsatz. Damit wird das Fahrrad übersichtlicher, wendiger und lässt sich wie ein „normales“ Liegerad fahren. Leichter wurde es aber trotzdem nicht. Die Strecke der nächsten beiden Tage hatte ein recht welliges Profil. Und so musste ich die 30 Kilo Rad und die noch mal ca. 25 Kilo Gepäck immer wieder steile Anstiege hoch wuchten.

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Nach 6 Tagen und 640 Kilometern im Sattel (bzw. wie die Presse immer gern schreibt im „Fernsehsessel“)  spür ich nun doch die Anstrengungen in den Beinen. Die Muskeln sind müde und freuen sich auf eine Pause. Während ich der Hauptstadt auf dem Kopfsteinpflaster entgegen holpere, kommen mir wieder einige Begegnungen und Reaktionen in Erinnerung:

In einem Ort fragte ich zwei ältere Damen nach dem besten Weg nach Wildenhain. Sie diskutierten eine Zeitlang miteinander, bevor sie mir sagten: „Nach Wildenhain gibt es viele Wege. Doch das Problem ist, Sie kennen ja keinen davon...“

In der Nähe von Luckenwalde fand ich eine Zeltmöglichkeit im Vorgarten eines älteren Ehepaares. Sie brachten mir, ohne dass ich danach gefragt hätte, einen wärmenden Gute-Nacht-Tee und am nächsten Morgen Kaffee und Brötchen ans Zelt.

Ein besonderes ungewöhnlicher Kommentar eines rüstigen, alten Mütterchens zum Liegerad: „Oh, das ist ja niedlich!“ (Anm. d. Red.: das Tandem ist ca. 2,50 Meter lang, 60 Kilogramm schwer und war zu diesem Zeitpunkt voll beladen!)
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